
Ostern 2001-04-18
TAUBENFRÜHSTÜCK IN MARTIGUES
Ich habe den Etang de Berre im Morgenrot erlebt. Das war vor zwanzig Jahren.
und gibt auch heute noch ein sehr vertrautes Bild.
Nur diesmal will sich das bizarre Farben-spiel nicht zeigen, das manchmal, wenn der Südwind sich der kultivierten Küste wild und unbeherrscht nähert, den Himmel wie von einer anderen Welt erscheinen lässt.
Das liegt zum einen an der Umwelt, an all den gelbgefärbten Molekülen und Atomen, durch die sich die Verschmutzung in jedem von uns anders definiert.
"So wie du denkst, so wirst du den Himmel erleben", erzählte mir ein Fischer bei der morgendlichen Ausfahrt auf der Suche nach den letzten Originalen für eine "traditio-nelle Bouilla-baisse."
Zum anderen auch am Gelb und Grün der Kummulanten, die hoch am Firmament zu explo-dieren drohen.
Die Sonne steht im Irgendwo und spendet links aus einer Wolkenlücke erste Wärme.
Über Gardanne herrscht Frieden.
Wie an vielen Orten an diesem Sonntag.
Der Schlot der Aluminiumförderanlage wirkt um das Doppelte verlängert.
Meine Sinne sind getrübt. Vom Pastis 51 am gestrigen Abend.
Weil wir Ostern haben und es hier im südfranzösichem Aix-en-Provence und in Martigues, wo ich eine städtische Wohnung bewohne und es einen praktizierten Katho-lizismus gibt heute ausgesprochen gespens-
tisch still ist?
Mein Triangelsspiel verzückt den kleinen Pudel und die alte Dame ihm zur Seite dreht sich vorwurfsvoll zu mir. Für eine Prozes-sion am Nachmittag haben sie lange Reihen von Bänken aufgereiht. Aus alten Holzplanken Absperrgitter gezimmert auf denen sich unzählige Möven ein Stelldichein geben. Unbeeindruckt warten sie da. Regungslos in der Morgenkälte.
Der Glockenschlag einer nahen Kirche ver-dreht der Alten erneut den Kopf. Ihr rosa Morgenmantel flattert im Wind. Darunter schimmert weisses Leinen.
Was macht ein Pudel mit der Alten am Etang de Berre fragt sich still ein alter Alba-tross. Seine Schnabel gleitet vom Morgenwind getragen durch das Blau des Himmels. WIe ein Gondollieri wippt er hin und her. Tauben und eine Heerschaar von Sperlingen fliegen auf, üben eine Formation, sammeln sich wieder, picken im Unrat der Hafenpromenade und scheren sich einen Teufel um die Andacht der Gläubigen in der nahen Kathedrale.
"Und sie sind alle da: Francis Bacon und der Schah, Woody Allen und der Zar, Casanova und die Diva, ebenso wie Ganz und Shiva. Und in Gummistiefeln nah am Thron, weilt Tadzio und Olav Thon. Auf der Federwolke hoch am
Himmel, läuft ein Reiter neben seinem
Schimmel."
Dieser Rap aus alten Tagen drängt sich in mein Hirn und wird zum Gespinst. Verflogen. Finde keine Zusammenhänge. Rauch wird mir wieder bewusst. Wie herrlich ist das nicht Nichtzusammenhängende. Ohne Tiefgrund. Einfach da, dann weg.
Ich fühle ein sonderbares Verlangen nach einem Mehr von skurrilen Zusammenhängen.
In der nahen Fischerschänke dieses frühen Morgens besteche ich die Arbeitslosen und einen Popen mit Pastis. Ohne Einwand sagen sie zu, gescharrt um einige Minestranten. Gekleidet sind sie in Schwarz. Unter den spitzen kleinen Stehkrägen ihrer uniformen Hemden verbergen sich starke geschmeidige Jungmännerhälse. Jeden einzel-nen nimmt sich der Pope vor und mit einer kurzen energischen Bewegung seiner rechten Hand bringt er Ordnung in die Ausstattung der kleinen Gruppe. Nun stehen sie da. Warten. Stumm.
Sortiert und erwartungsvoll. Ihr glatt nach hinten gestrichenes Haar widerspiegelt das Sonnenlicht und mit ihm das Dilemma dieses Tages.
Ein Tag wie jeder andere und doch so grundverschieden.
Nur leicht verdeckt, durch eine kleine Wolke Kerosin die den Start eines Jets symbolträchtig begleitet, steht der Pope und zelebriert seine Macht.
In seinen spindeldürren Fingern hält er drohend eine Gerte. Und während sie her-niedersaust, schlürft zügig einer der Geladenen den letzten Tropfen Anis aus dem Pressglas.
Nun fassen die gedungnen Hände mit energi-schem Griff die bereitgestellten Säcke aus roh gewebter Jutefaser. In einiger Entfer-nung spüre ich den Puls dieser Jungmänner-schar und sehe die stark gewölbten Adern
an den Handoberflächen beben.
Der Albatros sitzt behäbig auf der Bank, verdreht den Kopf, hält respektvollen Mindestabstand zur Alten und zum Gesche-hen. Die Sperlingschar steigt wieder in die Lüfte und hundert Tauben laufen gurrend im einstudierten Trippelschritt durch ein Rinnsal.
Noch ist es kalt. Das Nass kann nicht verdunsten. Weder Tourist und auch kein Händler stört den Frieden unserer öster-lichen Runde.
Im Gleichschritt Marsch bewegt sich das Kommando durch die Reihen der Nichtahnenden
Das schaurige Spiel nimmt seinen Lauf. Als gäbe der nächste Glockenschlag das heiß erwartete Zeichen, erreicht der erste junge Mann die Taubenschar und wie von purer Lust gesteuert, langt der erste hin.
Mit sichrem Griff fasst er das erste Taubenbenvieh und dann das Zweite.
Noch ein, noch zwei noch dreimal fasst er aus dem Stand und stoppt den ersten Flügelschlag im dunklen Sack.
Da schwebt aus sicherer Entfernung ein abgehacktes Agnus Dei dem makabren Schau-spiel entgegen. Ein Hund verrichtet seine Nortdurft dort wo eben noch das Taubentier im Unrat pickte und eine schwarze Katzen-mutter sich beide Hinterpfoten leckt.
Der Albatros hebt ab und lenkt mit langge-zognem Flügelschlag sein weißes Gefieder gegen Westen. Dort wo im Widerschein des Morgenlichts die Schlote heut nicht mehr rauchen. Er hat das Schauspiel satt, so scheint es, und macht sich flügelschlagend aus dem Staub.
Ein erneuter Griff, kein dumpfes Aufbe-gehren, kein Geschrei und kein Gezeter.
Viele dutzend Male bücken sich die jungen Maenner, packen zu und setzen Zeichen. In den Säcken herrscht der blanke Schrecken.
Verzweiflung. Hingabe. Keines dieser Taubentiere weiss vom nahen Tod und doch liegen neben Gleichmut auch Hingabe in der Luft.
Der Hauch des Todes mischt sich mit der Auferstehung; Dort wo der Geist des Gottes in den Himmel fährt, landet unweit eine Canadair. Dann eine Zweite.
Irgendwo im trocknen Land, hat sich ein Feuer wohl schon zeitig entzündet.
Die Männer stellen erste Säcke ab und nehmen zweite gleich entgegen. Und wieder nimmt das Schauspiel seinen Lauf. Ein Ausfallschritt erzwingt den nächsten.
Mit sicherem Griff und absolut im Gleichmut dieser Fängertruppe, sichern sich die Männer ihre Beute. Pralle Fülle in den Säcken. Am Rand des Platzes hält der Tod sein Stelldichein. Die Luft wird knapp.
Dann werden nach und nach die Körper festgehalten und die Hände machen ruckartige Bewegungen im Uhrzeigersinn.
Im Sekundentakt erlischt das eine dann das andere Leben.
Taubenrezept