
Vom Alten im Alten 1996
An: Anne D. direkt at United
Vendredi, le 27. Dezember a Aix-en-Provence
Auszug aus dem Kuzfilm mit Claudio Marcello.
1. Fassung der ersten Folge vom 21.12.1996
Das kleine Dorffest zu Ehren der Heiligen "zur unvergessenen Empfängnis" hatte kaum begonnen, als Franco entgegen allen Sitten das festliche Tischarrangement erklomm und lauthals prokla-mierte: "Ich werde Annabella Dora noch heute abend nach Hause führen. Als meine Braut! Sollte je ein anderer denselben Wunsch im Herzen tragen, so möge er sich meinem Zorn stellen."
Das ganze Dorf johlte ihm zu. Seine Freunde gesellten sich an seine Seite und schlugen ihm mit den bäuerlichen Pranken auf Schulter und Brust. Ein guter Zeitpunkt für solch eine Tat. Ausgesprochen. Franco fühlte sich groß und stark.
Die Musik setzte ein, der Pope verbrannte Weihrauch in großen Mengen und Annabella trieb es die Schamesröte ins Gesicht. Die schön gewachsene junge Frau aus dem Nachbardorf kannte den groben Franco und seine Bande von Freunden. Sie hatte die Einladung zum Fest angenommen im guten Glauben an eine ehrenwerte Unterhaltung. Solch ein Fest war meist mit viel Tanz und Spaß verbunden. Das war es, was Annabella liebte. Eine starke Hand sollte Sie in den Rhythmen der Tradition und der Moderne durch diesen Abend geleiten. Annabella war selbstbewußt und hasste solche Spiele. Aber in Francos Gesicht lag eine sonderliche Art von Bestimmtheit und Entschlossenheit. Er schien darauf zu bauen und die Gunst der Stunde gab ihm Mut. Das wiederum imponierte der jungen Frau ein wenig.
Die Stimmung wurde ausgelassener und der Anlaß blieb weit hinter dem Gesamtbild dieses denkwürdigen Abends zurück.
Bruno bat um den nächsten Tanz und gestand Annabella seine Liebe. Bruno war Fischer und verbrachte die meiste Zeit des täglichen Morgens auf dem Meer. Nichts für Annabella. Denn gerade im Morgen lag der Hauch von Hingabe, wurde doch die verblassende Nacht vom stümischen Morgenrot vereinnahmt. In diesen Stunden lag soviel Unvernunft und Leichtfertig-keit, dass Annabella es sich nicht vorstellen konnte sich einem Mann zu ergeben, der sie gerade dann verlassen würde um sich auf die Jagd nach kaltem Fisch zu begeben. Sie machte gute Mine und ignorierte den Druck seiner Schenkel beim Slow.
Beinah, als hätte sie es gefühlt, stand Pepe zum Tanz bereit. Er war sehr schön anzusehen und trug ein schneeweißes Hemd über einer weiten Bundhose. Ich werde Dich verführen, sagte er. Du hast etwas, was mich fasziniert,
sagte sie. Ich bin mir sicher, gestand er ihr.
Nach einem heißen Tango fiel Annbella förmlich in die Arme von Sergio. Das kann so nicht weitergehen, fiel er ihr ins Wort. Ich habe mich noch nie hintenan gestellt.
Du kannst nicht mehr der erste sein, Sergio, haucht Annabella und bat um einige Minuten Pause.
Im Schatten der Festbeleuchtung wurde sie einer Silhuette gewahr. Sie folgte dem Rauschen der Brandung und ließ sich unter einem Olivenbaum nieder.
Du hat einen sicheren Schritt, erklang die Stimme, und wenn du mir einen Tanz schenken würdest, wäre auch ich ein glücklicher Mensch. Ich heiße Claudio Marcello und bin nicht der Dorfschullehrer. Sondern, fragte Annabella vorsichtig?
Ich habe keine eigentliche Arbeit, mein Leben ist das Poesieren. Damit verbinde ich eine großartige Liebe.
Ich kann mir das gut vorstellen, aber ich möchte mit niemandem teilen. Und wenn deine Liebe dem Poesieren gilt, hat du sicherlich zuwenig Zeit. Für mich.
Annabella ruhte ein paar Minuten und fiel in einen kurzen Schlaf.
Während diesen Minuten erlebte die ganze Gesellschaft einen tobenden Franco. Ich appeliere an die Mannesehre eines jeden einzelnen und möchte sofortigen Aufschluß über den Verbleib meiner Verlobten.
Den Weibern empfehle ich mehr Aufwerksamkeit ihren Männern gegenüber.
Tonio erschien auf der Bildfläche und impo-nierte, indem er sich klar und eindeutig Franco in den Weg stellte.
Wieso sollst du alleinigen Anspruch auf Annabella haben. Sie ist frei und ungebunden und es soll ihr Wille sein, sich für einen von uns zu entscheiden. Ich für meine Person gestehe, daß ich sie seit längerer Zeit begehre. Sie wäre die richtige Mutter für meine Söhne und die Söhne meiner verstorbenen Frau. Gott hab sie selig.
Franco stieg eine ernste Zornesröte ins Gesicht. Tonio, dem Tischler begannen die Knie zu zittern.
Da meldete sich Thomas der Busfahrer. Diese Annabella verdreht uns allen den Kopf.
Ich denke, wir sollten sie selbst entscheiden lassen. Den Entschluß bejahte die Mehrheit der Anwesenden.
Zu diesem Zeitpunkt stand Annabella mit Claudio Marcello in der Brandung. Die Wellen schlugen sacht an ihre beiden Schenkel.
Wenn der Mond lacht, fließen im Meer die Tränen vergangener Nächte, sagte er. Poesie ist mit Schmerzen verbunden. Claudio griff Annabella mit Kraft ins nasse Haar und blickte sie mit fordernden Augen an. Der Träger ihres Kleides glitt wie von selbst über ihre Schultern. Claudios Lippen nahmen die zarten Rundungen im Sturm.
Es kann so sein wie du denkst.
Sie schlug die Augen auf und sah den willenlosen Blick. Franco war höflich und half ihr beim Aufstehen. Es soll deine Entscheidung sein.
Andrea, der Stadtbeamte bat sie offiziell um ihre Hand. Frederico, der Küchenchchef weinte um ihre Gunst.
Juliano schlug mit Kraft auf den Tisch und wollte eine Herausforderung mit den Stärksten der Gemeinde.
Der Bürgermeister verleugnete seine Frau und trat von Amt und Würden zurück. Frauen und Männer lachten hinter vorgehaltenen Händen.
Vielerorts schämte Mann sich.
Der Pope trank einen großen Becher Weins.
Ihr macht euch alle lächerlich.
Annabella sprach vom Fest der Heiligen, vom eigentlichen Anlaß des Abends und holte die Gesellschaft zurück in die Realität aus der sich alle für Stunden entkommen glaubten.
Ich werde mich für keinen von Euch entscheiden. Weil ich alle von euch achte.
Achtet ihr auf euch.
Meine Liebe gilt der Poesie und diese hat viele Namen.
Der Name aber, den ich heute der Poesie geben möchte, findet ich nicht unter euch.